Künstler, die sich ausdrücklich als politisch verstehen, sind selten geworden in der gegenwärtigen Kunstszene. Noch seltener sind hoch artifizielle Künstler, deren Werk durch und durch politisch ist. Der Dresdner Künstler Jürgen Schieferdecker ist einer von ihnen. Die Ausstellung würdigt das vielgestaltige Werk des im vergangenen Jahr siebzig gewordenen Malers, Grafikers, Objektkünstlers und Plastikers mit einer Auswahl von 60 seiner Werke zur Zeitgeschichte, die zwischen 1965 und 2007 entstanden sind.
Jürgen Schieferdeckers Anspruch als Künstler war und ist - wie er bereits 1974 formulierte - den „Zeitgenossen unter die (Kopf-)Haut” zu gehen. Denn Werke, die dies nicht schon zu ihrer Entstehungszeit schaffen, können auch „später wenig Anspruch auf Interesse” erheben.
Der 1937 in Meerane (Sachsen) geborenen Künstler, der seit der Aufnahme seines Architekturstudiums 1955 in Dresden lebt und arbeitet, sorgte in der DDR immer wieder für Unruhe unter Partei- und Kulturfunktionären. Sie fühlten sich durch sein Bemühen, die Finger in die Wunden der Gesellschaft zu legen, provoziert. Dementsprechend lang ist die Liste seiner Arbeiten, die in der DDR aus Ausstellungen entfernten worden sind.
Themen wie die Deformation marxistischen Denkens und die gleichzeitige Verunglimpfung alternativer Ansätze, etwa des Philosophen Ernst Bloch, aber auch der, in der DDR Realität gewordene Überwachungsstaat, wie ihn Georg Orwell in seinem Roman „1984” beschrieben hatte, widmete Jürgen Schieferdecker bereits damals künstlerische Arbeiten, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen ließen. Stellung nahm er auch zur hohen Umweltbelastung in der DDR oder zur Zerstörung historisch gewachsene Siedlungsstrukturen durch den industriellen Wohnungsbau.
All dies tat er nicht versteckt im Atelier, sondern suchte damit permanent die Öffentlichkeit. Und er tat es in einer provokanten künstlerischen Form, die er in Zwiesprache mit der, in der DDR lange verfemten Moderne des 20. Jahrhunderts von Max Ernst über Pablo Picasso, Salvatore Dali und Andy Warhol bis zu Joseph Beuys entwickelte. Dafür erhielt er internationale Anerkennung auf namhaften Grafikbiennalen von Frechen über Krakow bis Tokio; was ihn zugleich einen gewissen Schutz in der DDR gewährte.
Mit großer Lust und grafischem Entdeckertum streift Jürgen Schieferdecker auch heute noch durch die Kunstgeschichte. Er perfektioniert , mittlerweile 70jährig, sein künstlerisches Vokabular weiter, bereichert die Grafik mit aufwendigen Drucktechniken um neue, einfallsreiche Varianten - ohne dabei „den Stachel in Schönheit ersaufen zu lassen.”
Er will gebraucht werden, sich vereinnahmen oder verwenden lassen will er aber weiterhin nicht. Die Einmischung in gesellschaftliche Zeitläufe mit den vielgestaltigen Mitteln der Kunst ist ihm auch nach der Wiedervereinigung Programm geblieben. Davon legen die zahlreichen Werke in der Ausstellung, die nach 1990 entstanden sind, Zeugnis ab.
Prononciert bezieht er darin Stellung zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in den neuen Bundesländern, dem Rechtsradikalismus und der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland, aber auch zu den globalen Gefahren in einer globalisierten Welt. Zugleich wendet er sich beharrlich gegen alle Versuche, dass in der DDR geschehene Unrecht zu verharmlosen oder gar zu vergessen. Hartnäckig verficht er auch heute seinen Anspruch auf Utopie - als Antizipation einer möglichen, besseren Welt. Immer noch!