Manfred "Ibrahim" Böhme 1944 - 1999

Manfred „Ibrahim“ Böhme ist Mitbegründer der Sozialdemokratischen Partei der DDR (SDP). Bei der einzigen freien Volkskammerwahl in der DDR 1990 tritt Böhme als Spitzenkandidat der Sozialdemokraten und damit möglicher Ministerpräsident der DDR an. Kurz darauf wird er als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) der Staatssicherheit in der DDR enttarnt, der jahrzehntelang befreundete DDR-Oppositionelle ausspionierte. Zu seiner eigenen Biografie macht Böhme wiederholt widersprüchliche, teils erfundene Angaben. Das erschwert die Rekonstruktion seines Lebens.

  • 1944

    18. November: Manfred Otto Böhme wird in Bad Dürrenberg (Sachsen-Anhalt) als jüngstes von fünf Kindern geboren. Vater Kurt Böhme tritt 1946 der SED bei und informiert das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) und seine Vorläufer als IM über sein Arbeitsumfeld bei den Leuna-Werken.

  • 1947–1951/52

    Nach dem Tod seiner Mutter Anna Maria wächst Manfred Böhme zunächst in verschiedenen Pflegefamilien, später in einem Kinderheim in Zeitz auf. Sein Vater Kurt Böhme bekommt mit seiner nächsten Lebensgefährtin, Hildegard Uhlig, ab 1949 vier weitere Kinder.

  • Um 1952

    Rückkehr zu seinem Vater und Einschulung in der Polytechnischen Oberschule in Bad Dürrenberg.

  • 1961-1963

    Nach der Mittleren Reife beginnt Böhme eine Maurerlehre bei den Leuna-Werken südlich von Halle.

  • 1962

    Eintritt in die SED.

  • 1964–1965

    Erzieher im Lehrlingswohnheim der Leuna-Werke.

  • 1965

    Kritische Äußerungen Böhmes zum Ausschluss des Regimekritikers Robert Havemann aus der SED führen zu einem Parteiverfahren mit strenger Rüge und der Kündigung als Erzieher. Die Lehrlinge in den Leuna-Werken protestieren.

    Ab Juli: Hilfsbibliothekar in Greiz (Thüringen).

  • 1967–1972

    Fernstudium an der Fachschule für Bibliothekare in Leipzig, Abschluss als Bibliothekar.

  • 1968

    März bis September: Nach der Aufhebung der Parteistrafe leitet Böhme einen FDJ-Jugendclub in Greiz und gründet dort einen Philosophiezirkel. Proteste gegen die Niederschlagung des „Prager Frühlings“ durch Truppen des Warschauer Pakts führen zu seiner Kündigung und einer erneuten Parteistrafe.

  • 1968-1971

    Tätigkeit bei der Post in Greiz.

  • 1969–1989

    Der Ausschluss aus der Partei wird abgewendet und er von der SED rehabilitiert.

    Böhme ist unter verschiedenen Decknamen („August Drempker“, ab 1974 „Paul Bonkarz“, ab 1978 „Rohloff“, ab 1986 „Maximilian“) als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) tätig.

  • 1971-1977

    Als Kreissekretär des Kulturbundes in Greiz knüpft Böhme Kontakte zu zahlreichen jungen Intellektuellen und freundet sich mit dem Lyriker und Dissidenten Reiner Kunze an. Zeitgleich berichtet er der Stasi ausführlich über die ihm bekannten Personen und die Greizer Kulturszene und erfindet auch Geschichten hinzu.

  • 1975

    Heirat mit Evelyn Bachmann.

  • 1976

    Geburt der gemeinsamen Tochter Tatjana.

  • 1977

    Arbeitsbeginn in der Wissenschaftlichen Allgemeinbibliothek in Gera (Thüringen).

  • 1978

    Nach einer inszenierten Flugblattaktion in Magdeburg am 25. März 1978 verhaftet ihn die Stasi aufgrund „staatsfeindlicher Hetze“. Böhme hat es scheinbar darauf angelegt, ins Visier des MfS zu kommen. Nach zweiwöchiger Haft im MfS-Untersuchungsgefängnis in Gera wird er am 11. April 1978 nach Berlin-Hohenschönhausen in die zentrale MfS-Untersuchungshaftanstalt gebracht.

    Ausschluss aus der SED während der viermonatigen Haftzeit.

    Entlassung am 25. Juli 1978 ohne Prozess und Umzug nach Neustrelitz (Mecklenburg-Vorpommern) auf Wunsch des MfS.

  • 1978–1982

    Tätigkeit im Bereich Öffentlichkeitsarbeit des Friedrich-Wolf-Theaters in Neustrelitz.

  • Um 1979

    Unter dem Hinweis auf seine vermeintlich jüdische Herkunft beginnt Böhme den Vornamen Ibrahim zu verwenden.

  • 1982–1983

    Ausübung verschiedener Gelegenheitsarbeiten, z. B. als Sprachlehrer, Kellner oder Arbeiter im Sägewerk.

  • 1983–1985

    Bibliothekar in Neustrelitz.

  • 1984–1989

    Im Auftrag des MfS bewegt sich Böhme verstärkt in oppositionellen Kreisen in Mecklenburg sowie Ost-Berlin und nimmt etwa an den Vipperower Friedensseminaren rund um Markus Meckel und Martin Gutzeit teil. 1986 lernt Böhme Gerd und Ulrike Poppe kennen, die der alternativen politischen Szene Ost-Berlins angehören und unter besonderer Beobachtung des MfS stehen. Durch sie bekommt er Zugang zur Initiative für Frieden und Menschenrechte und engagiert sich zunehmend in der Initiative. Böhme wird scheinbar Teil der oppositionellen Szene in Ost-Berlin und berichtet an das MfS.

  • 1985/86

    Leiter eines Kreiskulturhauses in Berlin-Pankow.

  • 1986

    Scheidung von seiner Ehefrau Evelyn.

  • 1986–1989

    Ausübung verschiedener Gelegenheitsarbeiten in kirchlichen Einrichtungen.

  • 1989

    August: Böhme wird Mitglied einer Initiativgruppe zur Gründung einer sozialdemokratischen Partei in der DDR.

    7. Oktober: Böhme wird Mitbegründer und erster Geschäftsführer der illegal gegründeten Sozialdemokratischen Partei der DDR (SDP), trotzdem meldet er weiterhin Aktivitäten an das MfS.

    10. November: Treffen mit führenden Sozialdemokraten (Willy Brandt, Hans-Jochen Vogel) aus der Bundesrepublik.

    Ab Dezember: Vertreter der SDP am Zentralen Runden Tisch in der DDR.

  • 1990

    Februar: Wahl zum Parteivorsitzenden der SPD der DDR. Damit wird Böhme Spitzenkandidat für die Volkskammerwahlen im März, obwohl er verdächtigt wird, für das MfS gearbeitet zu haben.

    18. März: Bei den Volkskammerwahlen landet die SPD (21,9 %) mit ihrem Spitzenkandidaten Böhme deutlich abgeschlagen hinter der CDU (40,8 %), die mit großem Abstand gewinnt.

    März–August: Abgeordneter der Volkskammer, Niederlegung des Mandats am 31. August.

    März: Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ veröffentlicht eine Woche nach der Volkskammerwahl Berichte über eine mögliche IM-Tätigkeit von Böhme. Dieser dementiert und erklärt, alle Parteiämter bis zur Klärung der Vorwürfe niederzulegen.

    April: Kurze Zeit später bricht Böhme zusammen und begibt sich nach einem Krankenhausaufenthalt zunächst nach Baden-Württemberg, dann in die Toskana. In einer schriftlichen Gegendarstellung im „Spiegel“ verkündet Böhme „zu keiner Zeit und an keinem Ort, weder mit noch ohne Decknamen, als Mitarbeiter der Stasi tätig gewesen“ zu sein. Am 19. April kehrt er in die Volkskammer zurück.

    Juli–Dezember: Polizeibeauftragter des Magistrats von Ost-Berlin.

    26.-28. September: Auf dem Vereinigungsparteitag der Ost- und West-SPD wird Böhme in den neuen Parteivorstand gewählt.

    10. Dezember: Reiner Kunze veröffentlicht im „Spiegel“ die Dokumentation „Deckname ‚Lyrik‘“, in der Böhmes Tätigkeit als IM zweifelsfrei aufgedeckt wird.

    Böhme lebt seitdem zurückgezogen im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg.

  • 1992

    2. Juli: Nach einem Spruch der Berliner SPD-Schiedskommission wird Böhme wegen schweren parteischädigenden Verhaltens aus der Partei ausgeschlossen.

  • 1999

    22. November: Manfred „Ibrahim“ Böhme stirbt nach schwerer Krankheit mit nur 55 Jahren in Neustrelitz.

 

(iz) © Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
Stand: 06.01.2021
Text: CC BY NC SA 4.0

Empfohlene Zitierweise:
Kemle, Lisa/Zündorf, Irmgard: Biografie Manfred "Ibrahim" Böhme, in: LeMO-Biografien, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: https://www.hdg.de/lemo/biografie/manfred-ibrahim-boehme.html
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