„Warum hat keiner was getan?“, „Das war doch alles seit 30 Jahren bekannt.“ Schon diese zwei Zuschauerreaktionen geben einen Einblick in die Debatte rund um den 1979 im deutschen Fernsehen ausgestrahlten Vierteiler „Holocaust“. Die US-Serie ist ein besonders eindrückliches Beispiel für die Wirkung von Filmen zu historischen Themen. Sie prägen den Blick auf bestimmte Ereignisse, lösen Debatten aus und sind selbst Zeitdokumente. Noch stärker als Dokudramen oder Dokumentationen sind Spielfilme in der Lage, Emotionen auszulösen und Zuschauerinnen und Zuschauer in eine bestimmte Zeit zurückzuversetzen.
Unsere Wechselausstellung „Inszeniert“ zeigt, welche Themen der deutschen Geschichte die Kino- und Filmlandschaft seit 1945 prägen. Worin unterscheiden sich ost- und westdeutsche Filme zum Widerstand im Nationalsozialismus? Wie beeinflussen Heinz-Erhardt-Filme wie „Mein Mann, das Wirtschaftswunder“ das Bild der Bundesrepublik der 1950er-Jahre? Und in was für einem Umfeld entdecken Regisseure in der jüngeren Vergangenheit Themen wie Flucht und Vertreibung der Ostpreußen?
Die Gestaltung der Ausstellung orientiert sich an der Architektur von Kinos und Filmstudios. Sie umfasst sieben Themenbereiche, in denen immer ein Film im Vordergrund steht, der eine besonders große öffentliche Wirkung erzielte. Zum Beispiel „Operation Walküre“ über den Widerstandskämpfer Stauffenberg, „Unsere Väter, unsere Mütter“ über den Zweiten Weltkrieg oder „Das Leben der Anderen“ über die Staatssicherheit in der DDR. Zeitungsausschnitte und Zitate zeigen die zeitgenössischen Debatten um die Filme und ihre Themen. Filmrequisiten wie Maria Furtwänglers Mantel aus „Die Flucht“ oder die Film-Uniform Stauffenbergs verdeutlichen das schwierige Verhältnis von historischer Realität und filmischer Umsetzung.
Die Übersetzerin Patricia Klobusiczky im Gespräch mit Prof. Hanno Sowade
Verlust und Erinnerung sind die Themen der Autorin und Holocaust-Überlebenden Anna Langfus. Um darüber schreiben zu können, wechselte sie Land und Sprache und veröffentlichte 1962 ihren französisch geschriebenen Roman »Gepäck aus Sand«. Kraftvoll und poetisch erzählt die gebürtige Polin von der Unmöglichkeit, der Vergangenheit zu entfliehen, vom verzweifelten Versuch, sich in der Welt zurechtzufinden und behaust zu fühlen. Als »Gepäck aus Sand« 1964 in Deutschland erscheint, reagieren einflussreiche Medien wie Zeit und Spiegel mit Herablassung. Dass die Familie der Protagonistin in Auschwitz ermordet wurde, blenden sie aus; statt vom Holocaust ist im Klappentext beschönigend von der »Zeit der Bedrängnis« die Rede. 80 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz bringt die Andere Bibliothek »Gepäck aus Sand« erneut heraus, in der neuen deutschen Übersetzung von Patricia Klobusiczky.
Unter der Moderation von Dr. Simone Mergen beleuchtet Klobusiczky im Gespräch mit Prof. Hanno Sowade, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Haus der Geschichte und Projektleiter der Ausstellung „Nach Hitler. Die deutsche Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus“, ein zu Unrecht vergessenes Meisterwerk, die bleierne Zeit der deutschen Erstveröffentlichung und die veränderten Lesarten damals und heute.
Anna Langfus wurde 1920 als Anna-Regina Szternfinkiel in Lublin, Polen, als Tochter einer assimilierten jüdischen Familie geboren. Nach dem Abitur zog sie nach Belgien und studierte an der Polytechnischen Hochschule in Verviers. Bei Kriegsausbruch 1939 hielt sie sich in Polen auf und wurde von den deutschen Besatzern ins Ghetto von Lublin deportiert. Szternfinkiels Ehemann und ihre Eltern wurden ermordet, ihr selbst gelang die Flucht. 1946 ließ sie sich in Frankreich nieder und heiratete Aron Langfus, den sie bereits aus Polen kannte. Als eine der ersten jüdischen Überlebenden der Schoah begann sie, auf Französisch literarisch darüber zu schreiben. Für ihren Roman »Gepäck aus Sand« erhielt sie 1962 den Prix Goncourt. Anna Langfus starb überraschend 1966 im Alter von nur 46 Jahren.
Patricia Klobusiczky, 1968 in Berlin geboren, studierte in Düsseldorf literarisches Übersetzen und war viele Jahre als Lektorin für den Rowohlt Verlag tätig. Seit 2006 arbeitet sie freiberuflich als Moderatorin und Übersetzerin aus dem Französischen und Englischen. Von 2017 – 21 war sie Vorsitzende des Verbands deutschsprachiger Literaturübersetzer*innen VdÜ.
Die Veranstaltung findet in Kooperation mit dem Literaturhaus Bonn im Rahmen des Begleitprogramms der Wechselausstellung „Nach Hitler. Die deutsche Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus“ statt.
Vorab besteht bis 19 Uhr die Möglichkeit die Ausstellung zu besuchen.
Karten erhalten Sie im Vorverkauf hier.
Gefördert durch die Kunststiftung NRW und den Deutschen Übersetzerfonds.
Das Begleitbuch bietet Hintergrundtexte, Gastbeiträge und Interviews mit Schauspielern und Filmemachern wie Stefan Aust, Hanna Schygulla und Maria Furtwängler.
Lesen Sie mehr über die "Inszeniert"-Ausstellung im Museumsmagazin 2/2016.
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