Nach dem Inkrafttreten des Viermächte-Abkommens über Berlin beginnen beide deutsche Staaten mit Verhandlungen über einen Grundlagenvertrag. Wie schon beim Transitabkommen werden die Gespräche von den Staatssekretären Egon Bahr - für die Bundesrepublik - und Michael Kohl - für die DDR - geführt. Der "Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik" wird am 21. Dezember 1972 in Ost-Berlin unterzeichnet. Egon Bahr warnt jedoch vor allzu großen Hoffnungen : "Bisher hatten wir keine Beziehungen, jetzt werden wir schlechte haben - und das ist der Fortschritt."
Die Vertragspartner vereinbaren, "normale gutnachbarliche Beziehungen zueinander auf der Grundlage der Gleichberechtigung" zu entwickeln und sich dabei leiten zu lassen von den Prinzipien der "souveränen Gleichheit aller Staaten, der Achtung der Unabhängigkeit, Selbstständigkeit und territorialen Integrität, dem Selbstbestimmungsrecht, der Wahrung der Menschenrechte". Dies bedeutet jedoch keine völkerrechtliche Anerkennung der DDR. Deshalb vereinbaren beide Seiten auch nicht die Einrichtung von Botschaften, sondern nur von "Ständigen Vertretungen".
Offen bleibt die Frage der Staatsangehörigkeit: Aus Sicht der Bundesrepublik gibt es entgegen der Auffassung der SED keine besondere DDR-Staatsbürgerschaft. Wie schon Außenminister Walter Scheel beim Moskauer Vertrag überreicht Bahr einen "Brief zur deutschen Einheit", in dem die Bundesregierung feststellt, dass der Grundlagenvertrag nicht im Widerspruch zum Ziel der Wiedervereinigung steht. Die CDU/CSU-Opposition lehnt den Vertrag dennoch ab und wirft der Regierung vor, zu nachgiebig verhandelt zu haben. Der Hoffnung auf "gutnachbarliche Beziehungen" hält sie Mauer und Schießbefehl entgegen. Auf Antrag Bayerns prüft das Bundesverfassungsgericht den Grundlagenvertrag. In ihrem Urteil vom 31. Juli 1973 stellen die Karlsruher Richter zwar die Vereinbarkeit des Vertrages mit dem Grundgesetz fest, doch verpflichten sie die Politik erneut, am Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes festzuhalten.
(ag) © Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
Stand: 05.05.2003
Text: CC BY NC SA 4.0
Empfohlene Zitierweise:
Grau, Andreas: Grundlagenvertrag, in: Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/kapitel/geteiltes-deutschland-modernisierung/neue-ostpolitik/grundlagenvertrag.html
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